Geschichte des Chorgesangs

Der Fleiner Sängerbund blickt mit Stolz auf über 125 Jahre Vereinsgeschichte zurück. Viele kleine und große Ereignisse prägten in diesem Zeitraum den Verein. Chorgesang gab es aber nicht erst seit dem 19. Jahrhundert, Chöre hat es zu allen Zeiten und in aller Welt gegeben, auf allen Kulturstufen ebenso wie bei primitiven Völkern. Entstanden sein dürfte der gemeinsame Gesang bei religiösen Kultfeiern und in Verbindung mit den verschiedensten Volksbräuchen. Schon in den griechischen Tragödien und Komödien der Antike spielte das Chorlied eine wichtige Rolle. In der christlichen Antike und im Mittelalter bildeten sich häufig Singgruppen, die den Gottesdienst feierlich mit Gesang umrahmten. Die Sänger standen meist links und rechts vor dem Altar im Chorraum der Kirche, hierbei entstand auch der Begriff "Chor" für die Singgruppe. Meist waren nur Mönche und Geistliche Mitglieder des Chors.

In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts entstand der Gregorianische Choral. Er stellt die erste große musikalisch-künstlerische Leistung dar und ist gleichzeitig die älteste, bis heute lebendig gebliebene Kunstform des Abendlandes. Der mehrstimmige Chorklang, wie wir ihn heute kennen, wurde ab dem 14. Jahrhundert eingesetzt. Die heutigen gemischten Chöre oder Männerchöre singen in der Regel vierstimmig, im 16. und 17. Jahrhundert gabe es unter den - vor allem italienischen - Komponisten fast einen Wettstreit um die Mehrstimmigkeit und den Chorklang. So entstanden zahlreiche 8- und 12-stimmige Messen, ein Gipfel der Mehrchö-rigkkeit ist sicherlich die 53-stimmige Festmesse von Benevoli, die 1628 zur Einweihung des Salzburger Doms erklang, Auch in weltlichen Schulen oder den weit verbreiteten Latein-schulen gab es in der Renaissance und im Barock Chorgesang.

Nach der Reformation gewannen diese Singgruppen zunehmend Bedeutung durch die Übernahme kirchenmusikalischer Aufgaben im Gottesdienst. Häufig hatte dieser Chor auch bei Festlichkeiten aller Art des bürgerlichen Lebens mitzuwirken. Seine Leitung lag in den Händen des Kantors. Johann Sebastian Bach war von 1723 bis an sein Lebensende 1750 Kantor der Thomaskirche und Musikdirektor in Leipzig. Mit dieser Stellung war die Übernahme einer Reihe von öffentlichen Pflichten im städtischen Leben verbunden.


Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden nun die ersten Kantaten und Oratorien, meist nach Texten der Bibel. Auch im weltlichen Bereich gab es nun Chormusik, Madrigale und schließ-lich auch Opern. Sicher stellen Bachs Weihachtsoratorium und seine Passionen den künstlerischen Gipfel dieser Entwicklung dar. Auch Georg Friedrich Händel schuf machtvolle Oratorien (Messias), in denen neben Sologesang die Chöre das Volk im dramatischen Geschehen darstellten, aber auch zum Symbol der Größe und der Macht des Gotteslobs und zum Künder der biblischen Botschaft wurden.

Im späten 18. Jahrhundert erwachte ein neuer starker Sinn für den Chorgesang. Während bis zu dieser Zeit kirchliche Singgruppen immer noch der Hauptträger für fast alle Bereiche des Chorgesangs waren, sogar in der Oper, ist er nun Ausdruck der Volksgemeinschaft und ein Mittel zur Volksbildung im Sinne Pestalozzis. In dieser Zeit (Anfang des 19. Jahrhunderts) prägten sich die Begriffe eines "Chors", so wie wir sie noch heute verstehen: 4-stimmiger a-capella Gesang, die Bildung von Männerchören war fast eine Art von Volksbewegung.. Diese systematische Pflege des Männergesangs wurde eingeleitet von Karl Friedrich Zelter (1758 - 1832) mit der 1802 gegründeten "Zelterschen Liedertafel" in Berlin, einem Sängerkreis von 25 Mitgliedern, die sich als Dichter, Sänger oder Komponisten hervorgetan haben mußten. Dieses Vorbild wird in zahlreichen anderen Städten und Gemeinden nachgeahmt. 1827 findet in Plochingen schon das erste Deutsche Sängerfest statt, nachdem das erste in der Schweiz 1826 bereits vorausgegangen war.


In der Schweiz wird die Bewegung des Männerchorgesangs vor allem von Hans Georg Nägeli (1773 - 1836) geleitet, einem bedeutenden musikalischen Volkserzieher, dessen Veröffentlichung "Der schweizerische Männergesang" auch entschei-dend zur Popularisierung des Chorliedes im süddeutschen Raum beitrug. Seine Arbeit wurde vom Schwaben Friedrich Silcher (1789-1860) aufgenommen. Er war akademischer Musikdirektor in Tübingen. Durch seine Kompositionen und Bearbeitungen vor allem des vierstim-migen Volksliedes trug er zu dessen Verbreitung bei. Die in dieser Zeit gegründeten Vereine nannten sich in Süddeutschland häufig "Liederkranz", in Norddeutschland "Liedertafel.
Die Gründung vieler Chöre wirkte sich natürlich auch auf das kompositorische Gebiet aus. Felix Mendelssohn-Bartholdy sie als einer der wichtigsten Vertreter der Chorkomponisten jener Zeit genannt. Bis heute immer wieder gerne gesungen werden die Kompositionen für Männerchor in Opern, Gefangenenchor aus "Fidelio" von Beethoven, Jägerchor aus "Freischütz" von Weber oder der Matrosenchor aus "Der fliegende Holländer" von Wagner sind nur 3 Beispiele hierzu". Führende Komponisten des Männerchorliedes der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind auch Karl Loewe, Franz Schubert oder Konradin Kreutzer. Es soll nicht verschwiegen werden, daß in dieser Zeit häufig vaterländisches und patriotisches Liedgut ein Schwerpunkt des Singens darstellte.


Im Gegensatz zu dem Männerchorlied gewann das Lied für gemischte Chöre erst viel später und zunächst weitaus weniger populären Anklang. Eine Belebung erfolgte seit 1920, sie steht im Zusammenhang mit dem stilistischen Umbruch dieser Jahre und ist beeinflußt vom neuen Geist der Jugendbewegung. Singkreise und Madrigalchöre werden gegründet. 
Heute zeigt sich ein differenziertes Bild im deutschen Chorgesang. Die Mitgliederzahlen vieler reiner Männerchöre sinken, die Zahl der gemischten Chöre hat stark zugenommen. Es kann nicht verschwiegen werden, daß es zunehmend schwieriger ist, gerade jüngere Menschen zum Mitsingen zu bewegen, für viele ist diese Freizeitbeschäftigung einfach nicht attraktiv genug.. Es ist heute kaum vorstellbar, daß es bei einer Einwohnerzahl von etwa 1600 in Flein im vergangenen Jahrhundert 3 Männergesangvereine mit 150 Sängern gab. Dafür gibt es sicher viele Gründe: In den Gründerjahren vieler Gesangvereine waren politische und gesellschaftspolitische Ziele eng mit den Vereinsgründungen verbunden. Das erwachende Bürgertum begann sich zu formieren und entwickelte Zielvorstellungen, die zuvor für bürgerliche Kreise tabu waren. Dazu gehörten auch das Singen im Chor. Bis in unser Jahrhundert hinein waren die kulturtreibenden Vereine Stätten der Bildung, in denen über Text und Melodie erzieherische und Bildungsaufgaben geleistet wurden. Viele Chorleiter, auch in Flein, waren Lehrer, die ihren Bildungsauftrag auch über die Schule hinaus fortsetzten. Nicht zuletzt spielte die gesellige Komponente eine wesentliche Rolle. Oft waren die Singstunde oder der Besuch von Sängerfesten geschätzte Gelegenheiten, einem tristen Alltag zu entfliehen und gemeinsam mit Freunden und Gesinnungsgenossen frohe Stunden zu erleben. Damals war für viele Jugendliche der Beitritt zum Gesangverein der Beweis für die Aufnahme in die Welt der Erwachsenen. Oft genug wurde damit auch die Tradition der Väter fortgeführt.

Und wie sieht es heute aus? Kein Mensch braucht heute der Bildung wegen in den Verein zu gehen. Wer Musik liebt, kann sich diesen Wunsch per Knopfdruck in vielfältigster Weise erfüllen. Wer Unterhaltung sucht, ist nicht auf die Hilfe des Vereins angewiesen, sondern er findet ein reichhaltiges Angebot kommerzieller Veranstalter. Trotz ständig reduzierter Arbeitszeit ist Freizeit - im Sinne von verfügbarer Zeit - bei vielen Mangelware. Schon Kinder beklagen vielfach die Fülle von Terminen, die von Schule, Musikschule, Sportverein und Eltern bestimmt werden. Die Mobilität, die das Auto schenkt, ermöglicht es, auch weit über den Wohnort hinaus Angebote zur Freizeitgestaltung zu nutzen. In den Familien spielt Tradition keine große Rolle mehr. Das Sprichwort "wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen" hat nicht nur für die Gesangvereine seine Bedeutung weitgehend verloren.
Trotz und gerade wegen dieser pessimistisch stimmenden Tendenzen darf der Gesangverein nicht resignieren. Er hat allen Grund, mit Zuversicht nach vorne zu schauen, denn er kann mit seinen Zielen und seinen Anliegen gerade ein Gegenpol und Ausgleich zu den modernen gesellschaftlichen Strömungen sein. Der Gesangverein darf allerdings nicht nur auf die Veränderungen der Umwelt reagieren, er könnte auch versuchen, die Umwelt in seinem Sinn positiv zu beeinflussen, und das wäre nicht zum Schaden der Gesellschaft. In seiner Abschiedsrede sagte dazu der damalige Bundespräsident Richard von Weizäcker: "Chöre, Orchester ... und Initiativen aller Art gehören zu den Vorbildern der Kosten-Relation. Ihre Kosten sind kleiner als fast alle anderen Haushaltsmittel, ihre Wirkung aber geht tief und tut der ganzen Gesellschaft wohl." 



 

R. Gärtner

 

Literatur:


- Herzinger, Hans: Gesangverein - nein danke?
 

  in: Schwäbische Sängerzeitung 11/1991


- Wörner, Karl H.: Geschichte der Musik
  Göttingen


- Blume, Friedrich: Die Musik in Geschichte und Gegenwart
  Kassel 1989

in Mensch ohne Lieder ist wie ein Sommer ohne Sonne und wie ein Winter ohne Ofen. Lieder halten ihn das ganze Jahr über warm als eines der schützenden Pelzchen über seiner seelischen Nacktheit.

Peter Horton

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